Unter
Kontrolle,
ausser
Kontrolle

Chris Frick am Klettern in Mammut Ausrüstung

@William Barcelo

William Barcelo

Chris Frick

Die Kalkwand im spanischen Kletter-Hotspot Oliana beherbergt ebenso schwierige wie berühmte Kletterrouten. Auch der Schweizer Kletterer Chris Frick wurde in ihren Bann gezogen, verfolgt bei seinem Besuch aber primär eine andere Mission als die meisten vor Ort: Chris saniert. Er möchte die ikonische Route «Mind Control» neu einrichten. Als Chris sich mit unerschütterlichem Optimismus in das Herzensprojekt stürzt, ist die verheerende Wendung, die noch kommen sollte, für niemanden vorhersehbar.

«Es
entspricht
meiner
Philosophie,
jenen
Klettergebieten,
in
denen
ich
viel
Gutes
erfahre,
etwas
zurückzugeben.»

Bienvenido a Cataluña

Neujahr 2022, endlich ein erster Augenschein. Was für eine Route! Doch die Freude trübt sich beim beängstigenden Zustand der Bolts. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn in den weiten Runouts ein Sicherungspunkt versagt. Das Gebiet wurde zwar erst zwischen 2005 und 2009 eingerichtet, jedoch mit minderwertigen Haken. Der Fels in Oliana ist ein Kunstwerk und Klettern ist für mich Ästhetik. Wenn ich eine so schöne Route mit rostigen Haken sehe, tut mir das in der Seele weh. Solch eine Route verdient das beste und schönste Material.

Es entspricht meiner Philosophie, jenen Klettergebieten, in denen ich viel Gutes erfahre, etwas zurückzugeben. Sei es mit Wegebau, Abfallentsorgung und Erneuerungsarbeiten. Das Routensanieren entdeckte ich das erste Mal als Teenager durch Erstbegehungen vor 40 Jahren für mich. Ich habe schnell gemerkt, dass es mir liegt, meinen eigenen Weg zu finden. Es ist für mich ein kreativer Prozess, eine Art, mich auszudrücken. Da habe ich eine Zeit lang morgens bis abends gebohrt, bis ich zur Erkenntnis kam: Wer Bohrt, kann auch Sanieren. Sofort war mir klar, dass ich «Mind Control» sanieren möchte. Chris Sharma, der Einrichter der Route, war sofort damit einverstanden.

Chris Frick am Klettern in Mammut Ausrüstung

Mind Control

Dieser 50 Meter hohe Klassiker, 2009 von Chris Sharma eröffnet ist ungeheuer ausdauernd und auch bewegungstechnisch äusserst anspruchsvoll. Die Schwierigkeit um 8c klingt für meine Generation immer noch wie eine Reise zum Mars. Wenn die Chroniken stimmen, dann war die bisher älteste Person zum Zeitpunkt der Begehung von «Mind Control» 42 Jahre alt. Sind meine 54 Jahre deshalb eine Hypothek? Wir werden sehen ...

Erst sanieren, dann klettern

Um der Route gerecht zu werden, nehme ich mir Zeit, sie auf höchstem Standard zu sanieren. Klebehaken setzt nicht jeder und nicht jeder machts gut. Für «Mind Control» will ich aber ein perfektes Resultat. Dementsprechend viel investiere ich. Zunächst müssen die alten Haken raus – eine Riesenarbeit. Um die neuen Haken zu setzen, gilt es genau zu bohren, sauber zu putzen, die richtige Menge an Kleber aufzutragen und das Ganze sorgfältig abzutupfen.

Ferienzeit ist kostbar. Also bloss keine Zeit verlieren und bis in die Nacht mit der Stirnlampe ans Werk. Auch wird so die bekannte Route nicht zu lange blockiert. Doch obwohl mir lokale Kletterer, mein Bodenpersonal sozusagen, wichtige Hilfe leisten, ist der Aufwand grösser als gedacht. Schliesslich handelt es sich hier nicht um irgendeine Route, weshalb die möglichst perfekte Ausführung das Ziel ist. So zieht sich die Sanierung über vier volle Tage hin. Danach vermag ich keinen Finger mehr zu rühren. Jetzt ist erst mal «la vida tranquila» in der spanischen Sonne angesagt.

Chris Frick am Klettern in Mammut Ausrüstung
Chris Frick am Klettern in Mammut Ausrüstung

Nehmen und geben

Das innere Feuer für diese Route brennt und brennt. Kunstvolles Bewegungsspiel am natürlichen Fels bleibt meine Kraftquelle, Meditation und Inspiration. Klettern hält mich lebendig, es gibt so viel zu entdecken – und Oliana ist schlichtweg eindrucksvoll. Die Atmosphäre am Fels ist auffallend herzlich. Ungeachtet von Können und Herkunft hat man hier so viel Support und Geduld füreinander übrig. Verbissenheit? Fehlanzeige. Die ideale Basis für ein Projekt wie «Mind Control». Ich habe die Route gerade saniert, träume von ihr, warum sollte ich sie nicht auch versuchen?

Eines ist sicher – nämlich dass die Route nun sicher ist. Das kann ich bestätigen. Natürlich unfreiwillig, aber zur Unterhaltung aller Anwesenden, enden manche Versuche mit einem weiten Sturz. Bis zum berühmten Rollover-Move, einem technisch heiklen Kreuzzug, der weit oben das Tor zum finalen Durchstieg markiert, hab ich es zumindest schon mal geschafft. Es ist eine spannende und intensive Zeit. Von allen Seiten erhalte ich Zuspruch, was meine brennende Motivation weiter schürt. Zwar habe ich die Route wegen des akuten Zeitdrucks noch nicht durchsteigen, viel schlimmer wäre jedoch eine zu späte Erkenntnis, es nie versucht zu haben. Ich würde es genau so noch einmal tun. Noch gibt es keinen Grund «Mind Control» aufzugeben. Die Moves und das Ambiente sind perfekt. Venga! Fuerte! A muerte!

In Schwarz, verschiedenen Graustufen, gar in Weiss und Marroni ziehen Streifen über die Riesenwelle aus Kalk. Wasser und Sonne haben ein Meer aus Kalkablagerungen geschaffen – von feinsten Verästelungen bis zum prachtvollen Sinter. Atemberaubend, der Anblick eines sich darin bewegenden Menschen. Grazil, aber auch kraftvoll. So brennt sich Oliana in mein Bewusstsein.

«Es
war
grauenvoll
mitanzusehen.
Vor
allem
mit
dem
Wissen,
was
ein
Feuer
für
Auswirkungen
auf
den
Fels
hat.»

Chris Frick am Klettern in Mammut Ausrüstung

Das Feuer

Das war der Sonntagabend des 19. Juni. Ich habe das Ganze vor allem auf Instagram mitverfolgt. Ein lokaler Kletterer besitzt in Oliana eine wunderschöne Terrasse mit Blick auf die Wand. Noch bevor das Feuer überhaupt die Wand erreichte, postete er die ersten Videos.

Es war grauenvoll mitanzusehen. Vor allem mit dem Wissen, was ein Feuer für Auswirkungen auf den Fels hat. Erst drei Monate zuvor hatte ich die Route «Mind Control» saniert. Die weltbekannte Route könnte jetzt aber für immer verlorengehen. Die ganze Wand ist mit einem Kunstmuseeum vergleichbar. Einige der schönsten und berühmtesten Routen sind dort in einer seltenen Dichte anzutreffen. Paradoxerweise war die Feuerschneise genau so breit wie die Wand. Nicht nur der Routen wegen, sondern auch aufgrund meiner persönlichen Affinität zum Gebiet war es schwierig, Zeuge des Feuers zu sein. Als ich zu Anfang des Jahres die Bohrmaschine ansetzte, begann ich eine ganz besondere Verbindung zum Fels aufzubauen. Das Sanieren brachte mich dem Klettergebiet und den Einheimischen näher.

Verloren und gewonnen

Drei Klassiker sind dahin: China Crisis, Crimptonite und die beliebte Aufwärmroute im Schwierigkeitsgrad 7a. Die ganze Felsoberfläche ist dort verbrannt. Der Fels bröckelt an der Oberfläche ab und die Bolts sind in einem miserablen Zustand. Da kann man sich auf keinen Fall mehr sichern. «Mind Control» hat noch niemand genau untersucht. Ich habe Klebehaken gesetzt, deren Kleber Temperaturen über 100°C nicht standhält. Es steht in den Sternen, ob die Route noch kletterbar ist. Routen im konkaven Bereich der Wand sind vielleicht nicht so betroffen. Um das zu beurteilen, müsste ein Experte die Haltekraft der Haken testen und den Fels abklopfen, um ihn auf Risse zu untersuchen. Das alles macht bisher aber niemand.

Mir ist die Sicherheit beim Klettern ein grosses Anliegen. Sicherheit ermöglicht Freude am Klettern. Für mich persönlich ist es wichtig, etwas Produktives zu hinterlassen und andern so die Route zu ermöglichen. Auch der soziale Aspekt der Arbeit ist für mich zentral. Durch das Sanieren entstehen Gespräche und Freundschaften. Hoffentlich bald auch wieder in Oliana.

Über Chris Frick


Der Schweizer Chris Frick hat knapp 1000 Routen geschraubt, saniert und sich einen Namen als Kletterer mit 54 Jahren in Routen bis 8c gemacht. Ausserdem ist er Autor eines Kletter-Topos für den Basler Jura in der Schweiz.