Die
Norm:
AnsprĂĽche
an
ein
Kletterseil

07/22

Mammut Kletterseil in orange

07/22

Wann reisst ein Kletterseil? Da das Leben dranhängt, hast du dir diese Frage vielleicht schon gestellt. Wir haben die Antwort.

Seil gleich Seil? Ganz so einfach ist es nicht. Unser Steckenpferd sind Kletterseile, mit deren Produktionsbeginn im Jahre 1862 Mammut seine ersten Fussstapfen setzte. Heute ist es unerlässlicher Bestandteil der dynamischen Sicherungskette beim Klettersport. Und in dieser ist nicht nur die gesamte Sicherungskette dynamisch, sondern auch ihr längstes Glied: das Seil. Einen der Begriffe wie Normsturz, Normprüfung, Mantelanteil und Fangstoss hast du schon mal gehört? Wenn du wissen möchtest, was sie bedeuten, bitte einfach weiterlesen.

1, 2, 3 ... Test, Test
Eines muss man Seilen lassen: Wir verlangen ihnen ziemlich viel ab. Wir setzen sie hohen Belastungen, jeder Witterung und extremen Temperaturen aus, ziehen sie über Fels, Eis, Metall und durchs Wasser. Als wäre das noch nicht genug, müssen sie auch Prüfungsdruck standhalten – denn Seile werden gründlich getestet. Zumindest Kletterseile. In der EN-892 legt das europäische Komitee für Normung (CEN) Leitlinien und Anforderungen für dynamische Bergsportseile fest. Dabei wird zwischen der dynamischen und der nicht-dynamischen Prüfung unterschieden.

Herstellung von Mammut-Seilen

Dynamische PrĂĽfung

Der Normsturz
Schon mal gehört? Normstürze sind Teil der Sturzprüfung, welche die drei wichtigsten Eigenschaften von Kletterseilen ermittelt: Sturzzahl, Fangstoss und Dehnung beim ersten Sturz. Hierfür wird das Seil an einem Ende fixiert, über eine genormte Kante geleitet und am anderen Ende an einen Fallschlitten gebunden, der aus einer Höhe von 4,8 Metern fallengelassen wird. Einfachseile werden mit 80 kg, Halbseile mit 55 kg beladen am Einzelstrang geprüft – Zwillingsseile mit 80 kg am Doppelstrang. Beruhigend zu wissen: Ein Normsturz ist statischer Natur. In der Praxis, also mit Freundinnen und Freunden am Fels, nehmen eure Gurte, geclippte Exen, das Sicherungsgerät und eure Körper einen Teil dieser Energie auf. Die auftretenden Kräfte sind also deutlich geringer als beim Test-Szenario. Der Sturz ist «weicher», wie man so schön sagt.

Die Sturzzahl
Wir müssen ein Detail richtigstellen: Bei einem Seil spricht man seltener vom Reissen – ein Seil bricht. Um die Sturzzahl zu ermitteln, werden Normstürze durchgeführt, bis es soweit ist. Bricht ein Seil beispielsweise beim achten Normsturz, so lautet seine Sturzzahl sieben. Und je höher die Sturzzahl, desto höher sind die Sicherheitsreserven. Die Norm fordert, dass Einfach- und Halbseile mindestens fünf, Zwillingsseile mindestens zwölf Normstürzen standhalten. Ein korrekt angewandtes und gut gepflegtes Kletterseil ↗ hält eine Vielzahl an Stürzen aus – auch welche aus über 4,8 Meter Höhe.

«Einfachseile
werden
mit
80
kg,
Halbseile
mit
55
kg
beladen
am
Einzelstrang
geprĂĽft
–
Zwillingsseile
mit
80
kg
am
Doppelstrang.»

Der Fangstoss
Du stürtzt. Freier Fall. Das Seil spannt sich. Ab jetzt nimmt es über Reibung und Dehnung einen Teil der Sturzenergie auf und reduziert die Kräfte, die auf deinen Körper wirken. Der Fangstoss ist die Restenergie, die sozusagen «bei dir ankommt». Auch dieser Wert wird beim Normsturz gemessen. Hier sind bei Einfach- und Zwillingsseilen maximal zwölf, bei Halbseilen maximal 8 kN vorgeschrieben. Jedoch gilt wieder: So statisch wie beim Test-Szenario wird kein Klettersturz.



Die Dehnung beim ersten Sturz
Beim ersten Sturz dehnt sich ein Seil erst zu der Länge, die es dann beibehält. Zwar dehnt es sich auch bei allen folgenden Stürzen, was an seiner absoluten Länge aber nichts mehr ändert. Bei der Normprüfung darf die Dehnung beim ersten Sturz maximal 40 Prozent betragen. Ist sie zu gross, birgt dies selbst mit guter Sicherungspartnerin oder gutem Sicherungspartner ein Gefahrenpotential. Da die Dehnung Einfluss auf den Fangstoss hat, gehört es zu den Herausforderungen der Seilherstellung, den Fangstoss zu reduzieren, ohne die Dehnungswerte zu erhöhen.

Mammut Kletterseil in orange

Nicht-dynamische PrĂĽfungen

Der Durchmesser und das Metergewicht 
Schon gewusst? Ein Seil hat nicht über die volle Länge den gleichen Durchmesser. Die Millimeterangabe an den Seilenden und auf der Verpackung ist ein Durchschnittswert, der durch Messung an verschiedenen Stellen ermittelt wird – und zwar unter statischer Belastung des Seils mit einer definierten Masse. Wie so oft, gibt es auch hier Vor- und Nachteile. Dünne Seile sind leicht zu tragen, leichter nachzuziehen. Dabei ist aber die geringere Reibung in der Sicherungskette – vor allem im Sicherungsgerät – zu berücksichtigen. Ausserdem ist das dünnere Seil bei selber Nutzung weniger langlebig als das dickere.

«Je
höher
die
Sturzzahl
eines
Seils,
desto
höher
seine
Sicherheitsreserven.»

Die Mantelverschiebung 
Kletterseile bestehen aus einem Kern, der von einem Mantel umhüllt ist. Dieser dient primär zu seinem Schutz, unterstützt den Kern aber auch in seiner Tragfähigkeit. Sollten sich beim Klettern und Abseilen Mantel und Kern zueinander verschieben, kann das Seil seine Form verlieren, was wiederum das Handling erschwert. Die Mantelverschiebung wird ermittelt, indem ein Seilstück fünfmal durch eine kleine Öffnung gezogen wird. Danach dürfen sich Mantel und Kern maximal 20 Millimeter zueinander verschoben haben. Bei modernen Kletterseilen tritt jedoch kaum noch Mantelverschiebung auf.

Die Imprägnierung
Ein trockenes Seil ist ein glückliches Seil. Durchnässt ist es schwerer, lässt sich nicht mehr so gut handhaben, kann gefrieren und büsst an Festigkeit ein. An einer Imprägnierung, du kennst es von deiner Regenjacke, perlt Wasser ab. Die UIAA-Water-Repellent-Prüfung schreibt vor, dass ein Seil nicht mehr als 5 Prozent des Eigengewichts aufnehmen darf. Mit maximal 1,5 Prozent Wasseraufnahme erreichen alle unsere Dry-Seile also deutlich bessere Werte als die Norm vorschreibt.

Mountaineering SS22

Alles hat ein Ende, nur ein Seil hat zwei
Wir kommen zum Schluss: Moderne Kletterseile sind extrem sicher. Solange du es pflegst, richtig anwendest und auf die ganz normale Abnutzung sowie auf scharfe Kanten wie z. B. gekerbte Karabiner ↗ achtest, bricht dein Seil auch bei hohen Stürzen nicht unter deinem Körpergewicht. Wer es jedoch lieber einmal zu früh als zu spät ersetzt, hat länger was vom Klettern. Und wie wir dank ausgesonderten Kletterseilen länger was von unserer Umwelt haben, erfährst du hier ↗

Happy projecting.

Finde dein richtiges SeilÂ